UniX

Universitäten sind konservative Institutionen mit starren Strukturen. Das ist keine Überraschung, denn einige haben bereits fast ein Jahrtausend überlebt. Aber in der Vergangenheit waren sie auch gezwungen, sich an neue Situationen anzupassen, zum Beispiel während der Reformation oder der Industrialisierung.

Was auch immer man über die aktuelle Corona-Pandemie denken mag, in dieser Krise wurde offensichtlich, dass die Universitäten wieder vor einer solchen neuen Situation stehen. Studenten durften nicht auf den Campus kommen, und stattdessen wurde die Lehre online angeboten. Bei aller Skepsis gegenüber diesem Ansatz mussten selbst die Kritiker zugeben: Es funktioniert. Das Internet hat bereits vieles revolutioniert, etwa das Verlagswesen, die Unterhaltung oder den Tourismus. Die Universitäten werden wahrscheinlich die nächsten sein.

Solche Triebkräfte stammen oft aus den USA, und die Pandemie hat die Situation dort noch viel extremer gemacht. Nachdem die Eltern 5-stellige Studiengebühren bezahlt hatten, sind viele Universitäten geschlossen worden, und die Jungs waren wieder zu Hause. Warum sollten diese Studenten an zusammengebastelten Internet-Kursen teilnehmen, die von ihrer Heimatuniversität angeboten werden, wenn es ausgezeichnete Online-Lehrpläne gibt, die auch von den weltbesten Universitäten angeboten werden? Oft sind die entsprechende Gebühren um einiges kleiner, und manchmal fallen solche ganz weg.

Obwohl weniger extrem, war die Situation in Europa ähnlich. Die Pandemie hat unsere Universität völlig unvorbereitet getroffen. Die Online-Lehre wurde wie eine Feuerwehrübung zusammengeflickt, und infolgedessen war ihre Qualität fragwürdig. Die Studenten wurden nach Hause geschickt, um jeden Tag viele Stunden auf Computerbildschirme zu starren. Man fragt sich in der Tat, ob sie nicht besser bei den etablierten Online-Kursen aus Oxford mitgemacht hätten.

Kurse und Übungen können sehr gut über das Internet angeboten werden. Man sollte jedoch nicht glauben, dass alles, was im Hörsaal funktioniert, eins zu eins auf den Bildschirm übertragen werden kann. Vor vielen Jahren unterrichtete ich auch einen Kurs, der damals noch auf Videokassetten verteilt wurde. Ich hatte einen professionellen Kameramann, der mir sagte, wie ich mich bewegen soll, wo ich schreiben soll usw. Ähnliche Anpassungen müssen auch bei der Entwicklung von Online-Vorlesungen vorgenommen werden, und erhebliche Anstrengungen sind nötig, um eine gute Online-Lernerfahrung zu erzielen [1]. Aber all das ist durchaus machbar.

Ganz klar, Online-Vorlesungen haben ihre Nachteile. Der wichtigste wahrscheinlich ist, dass die Umgebung des Universitätscampus einen massiven sozialen Druck zum Lernen und zum Erfolg erzeugt. Die notwendige Disziplin zu Hause aufrechtzuerhalten, ist schwieriger, aber vielleicht mit individueller online Betreuung realisierbar. Laborkurse, wie wir sie in der Chemie unterrichten, scheinen online nicht realisierbar zu sein. Um solche Fähigkeiten zu entwickeln, muss man lernen, wie man sauber mit den Händen arbeitet, und man benötigt eine umfangreiche Infrastruktur, die zu Hause definitiv nicht vorhanden ist. Aber ich dachte auch, dass es unmöglich ist, das Spielen eines Musikinstruments online zu lernen, bis mich ein Kollege vom Gegenteil überzeugt hat. Aber in allen Situationen ist eine gewisse Mischung zwischen Online- und Präsenzunterricht sicherlich machbar. Auch die Inhalte der Lehrpläne sind nicht in Stein gemeisselt und können entsprechend angepasst werden. Es ist ja wirklich nicht nötig, dass das Chemielabor am ersten Tag beginnt.

Anderseits sind die Vorteile des Online-Unterrichts offensichtlich [2]. Die Studierenden können an den Veranstaltungen teilnehmen, wo immer sie sind und wann immer sie wollen. Auf diese Weise kann man viel Zeit, Energie und unnötige Kosten für Reisen und Wohnen einsparen. Während die letztgenannten Aspekte für einige wenige unbedeutend sind, bleiben sie für die meisten ein wichtiges Thema, selbst in einem kleinen Land wie der Schweiz. In einem grossen Land wie den USA, Russland oder Indien können sie entschneidend sein. Was für eine Freude, während des Studiums nur einmal pro Woche oder sogar noch weniger zur Uni zu fahren? Auch die Universitäten können viel gewinnen, da man die Aufzeichnungen desselben Online-Vorlesung mehr als einmal abspielen kann, und an solcher Vorlesung können problemlos Tausende von Studenten gleichzeitig teilnehmen.

Es ist aber wichtig zu erkennen, dass einige Institutionen in diesem Spiel anderen, einschliesslich unserer Universität, weit voraus sind. Schauen Sie sich einfach Websites wie edX, das von Harvard und MIT gegründet wurde, coursera, udemy, usw. an, um zu sehen, wohin sich die Dinge entwickeln. Aber man kann ein Online-Curriculum nicht an einem Nachmittag entwickeln, und eine solche Aufgabe erfordert viel Arbeit von einem kompetenten Team. Zudem steigen auch grosse Technologieunternehmen in dieses Geschäft ein. Apple, Amazon oder Microsoft bieten Online-Lehrmittel an. Es entstehen zudem Partnerschaften zwischen Universitäten und solchen Unternehmen, die bekannteste ist wohl die zwischen Google, MIT und edX [3]. Wenn diese Unternehmen mitmachen, können einer Sache sicher sein: Die Online-Lehre wird von wenigen grossen Akteuren dominiert werden, und diese werden Millionen von Studenten anziehen. Diese Studenten fehlen dann anderswo.

Aber Sie können ja sagen, dass all das sogar möglich wäre, aber wie kann man online eine korrekte Bewertung, ordnungsgemässe Prüfungen und zuverlässige Noten sicherstellen? Schliesslich sollten Universitätsabschlüsse ein Beweis für den Erwerb bestimmter spezialisierter Fähigkeiten sein, und diese Bewertung kann nur dann richtig funktionieren, wenn die Studenten auch physisch anwesend sind. Man kann sich aber auch über diese häufig verteidigte Position streiten.

Erstens können Online-Prüfungen genauso zuverlässig durchgeführt werden wie die klassischen Prüfungen, bei denen die physische Anwesenheit erforderlich ist. Die Online-Prüfungen, welche von unserer Universität während der Pandemie angebotenen wurden, waren eher eine Einladung zum Mogeln. Es gibt viele Möglichkeiten während einer Online-Prüfung dies zu tun, aber kann es auch grossteils verhindern, und mehrere Unternehmen helfen Ihnen gerne dabei [4].

Zweitens können die Kompetenzen von Studierenden mit einem Abschluss, der den gleichen Titel trägt, leider sehr unterschiedlich sein. In der Schweiz gilt ein Abschluss an einer kantonalen Universität als weniger wertvoll als ein Abschluss an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen, wie der ETHZ oder EPFL. Die Unterschiede in der Wertschätzung von Abschlüssen verschiedener Universitäten aus Grossbritannien und den USA könnten nicht grösser sein, denken Sie nur an einen Abschluss von Cambridge, Harvard oder Stanford im Vergleich zu einer unbekannten Universität in Utah, Kentucky oder Schottland. Dort wird der Name der Universität weitgehend Ihre zukünftigen Arbeitsmöglichkeiten und Ihr Gehalt bestimmen, und man sagt in den USA sogar: "Du gehst ins Yale oder ins Gefängnis" [5]. Ich habe auch selber diese Unterschiede festgestellt, da wir zahlreiche Doktoranden, meist aus Europa, rekrutiert haben. Versuchen Sie zunächst einmal, die Zeugnisse und Noten von Studierenden mit Master-Abschlüssen aus Spanien, Ungarn, Ukraine oder Türkei zu vergleichen. Viel Glück! Wir haben dann die Kandidaten, die in die engere Wahl einbezogen wurden, eingeladen und sie während ihres Besuchs systematisch nach den Inhalten der in ihren Zeugnissen aufgeführten Vorlesungen gefragt und zu den Fähigkeiten, die sie in einer solchen Vorlesung hätten erwerben sollen, befragt. Die Ergebnisse dieser Gespräche waren extrem unterschiedlich. Selten war ich beeindruckt, manchmal war es ok, aber meistens waren solche Diskussionen ernüchternd. Aber alle diese Personen hatten den gleichen Abschluss. Daher bin ich nach wie vor gegenüber allen Abschlüssen skeptisch eingestellt, selbst von den besten Universitäten. Ich würde definitiv darauf bestehen, mit der betreffenden Person zu reden und diese Person vor einer eventuellen Anstellung auffordern, ein paar entsprechende Aufgaben zu lösen. Elon Musk bringt es auf den Punkt: "Der Bildungshintergrund ist irrelevant, aber alle müssen eine strenge Programmier-Prüfung bestehen" [6]. Daher dürfte die Aufnahme von Online-Abschlüssen ins Portfolio letztlich nicht viel ändern.

Der Online-Unterricht an den Universitäten kommt, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Dies wird grosse Veränderungen innerhalb der Hochschullandschaft bewirken, zuerst im englischsprachigen Raum, aber die europäischen Länder werden folgen. Scott Galloway vermutet, dass einige Universitäten dabei massiv gewinnen, während viele andere untergehen werden [1].

Michal Borkovec, 2. September, 2020

Referenzen

[1] James D. Walsh, The Coming Disruption, New York Magazine, May 11, 2020, link.

[2] Stephanie Norman, eLearning Industry, March 10, 2016, link.

[3] EdX announces partnership with Google, MIT News, September 10, 2013, link.

[4] Jessica Kasen, How to Cheat in Online Exams, August 21, 2020, link, 4 clever ways students cheat in online exams, Dignify Corp., link.

[5] "Go to Yale or go to jail", Catherine Gacad, How Did You Choose Your Child's Education? February 15, 2017, link.

[6] "Educational background is irrelevant, but all must pass a hard-core coding test", Elon Musk, We are (obviously) also looking for world-class chip designers to join our team, on Twitter @elonmusk, February 2, 2020. link.


Unten finden Sie Kommentare zu diesem Artikel.


September, 17, 2021, 19:44. Thank you! I just would like to add my personal opinion. I am even more skeptic about the output of the universities; I believe most of the researches at universities are useless (nearly 90%), they are just a measure for citation without any direct or indirect applications especially the theoretical field.