Sorgen mit offenem Zugang zur wissenschaftlichen Literatur

Das wissenschaftliche Veröffentlichungswesen krankt. Während die Bibliotheken nicht mehr in der Lage sind, die ständig steigenden Kosten der Fachzeitschriften zu tragen, haben die Forscher an den meisten Universitäten die grösste Mühe, an bestimme Artikel, die sie benötigen, zu gelangen. Sie sind nicht bereit oder nicht in der Lage, €50 für das Sichten von einem Artikel zu bezahlen, der sich oft als nutzlos entpuppt. Billigere Varianten solcher Einzelabrufverfahren haben sich bisher nicht durchgesetzt [1]. Der Druck, in renommierten Fachzeitschriften zu veröffentlichen, ist so gross geworden, dass man neuerdings eine solche Mitautorschaft kaufen kann [2]. Der Nobelpreisträger Randy Schekman hat sogar zu einem Boykott der "Luxus-Zeitschriften" aufgefordert, worauf die Zeitschrift "Nature" in einer Pressemitteilung mitgeteilt hat, dass "die Forschungsgemeinschaft zu einem übermäßigen Vertrauen in die Bewertung der Forschung durch die Zeitschrift neige, in der sie publiziert wird, oder sich zu sehr auf den Impact-Faktor dieser Zeitschrift stützt." Die zahlreichen und prominenten Unterstützer der Erklärung "Declaration on Research Assessment" greifen nun offen den Einsatz von Impact-Faktor zur Bewertung der Forschung an.

Der offene Zugang zur Fachliteratur könnte einige dieser Probleme lösen. Die Idee ist, dass die Forscher ihre Forschungsergebnisse im Internet öffentlich zugänglich machen. Mittlerweile verlangen mehrere Fördereinrichtungen, dass die Projekt-Ergebnisse, welche diese Einrichtungen finanziert haben, auf diese Weise veröffentlicht werden. Die Idee klingt bestechend einfach, aber einfache Dinge können kompliziert werden. Das Zugänglichmachen eines Artikels auf der eigenen Webseite, wie diese hier, würde nicht funktionieren. Das Hauptargument gegen diesen "grünen Weg" ist die fehlende Qualitätssicherung durch externe Gutachter. Kein trivialer Aspekt ist, wie man solche Artikel findet, weil die Indexierung solcher dezentraler Inhalte durch Suchmaschinen nicht einfach ist, obwohl diese Aufgabe von Google Scholar überraschend gut erledigt wird. Dieses Problem kann auch durch die Veröffentlichung auf zentralen Servern gelöst werden, von denen arXiv der beliebteste ist, vor allem bei den Physikern. Dennoch fehlt die Expertisierung, und die Physiker scheinen damit keine größeren Probleme zu haben. Interessanterweise werden die bereits auf arXiv zugänglichen Vorabdrucke später auch in normalen Zeitschriften veröffentlicht, wobei die Artikel extern begutachtet werden. Überraschenderweise haben die meisten Physik-Verlage diese Kröte bereits geschluckt. In anderen Gemeinschaften (beispielsweise Chemie, Biologie, Geologie) ist dieser Ansatz schlicht undenkbar, und eine wissenschaftliche Arbeit wird nur anerkannt, wenn diese begutachtet worden ist und in einer Zeitschrift erscheint, die ein Verlag publiziert. Die Verlage arbeiten jedoch nicht umsonst. Der "goldene Weg" ist als beste Lösung propagiert worden, wobei der Autor eine Veröffentlichungsgebühr für den Artikel bezahlt, und die gesamte Zeitschrift ist danach im Internet frei verfügbar. Leider ist der "goldene Weg" durch eine Flutwelle von Raub-Verlagen überschwemmt worden, die nicht das Ziel haben, wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen, sondern die Gebühren zu kassieren. Der "platine Weg" bietet eine offene Zeitschrift ohne Veröffentlichungs-Gebühren an. Allerdings braucht dieses Modell einen (mäßig) reichen Onkel, der den Verlag am Laufen hält, aber wie arXiv zeigt, kann dieses Modell durchaus nachhaltig sein. Universitäten, Vereine, oder Förderorganisationen könnten auch die Rolle dieses Onkels übernehmen. Verleger bevorzugen den "gemischten Weg", bei dem eine Zeitschrift bestimmte Artikel offen zugänglich anbietet, und andere nicht. In diesem Fall zahlt der Autor für die Veröffentlichung des offen zugänglichen Artikels, während die Bibliothek nochmals für das Zeitschrift-Abonnement zahlt. Einige Förderorganisationen boykottieren Verlage, die solche doppelte Verrechnung praktizieren; dies trotz der Existenz kostenneutraler Modelle (beispielsweise das gold-for-gold Programm). Diese Fragen und Fallstricke sind in einem kürzlich erschienenen Buch gut diskutiert [3].

Hier beginnt aber das Problem. Die Hochschulforscher schlitteln langsam aber sicher in dieses Schlamassel hinein. Prinzipiell sind sie alle hochmotiviert, ihre Artikel öffentlich zugänglich zu machen, weil sie unter den restriktiven Vertriebspraktiken der Verleger am meisten leiden. Die Hauptbeschäftigung der Hochschulforscher ist die Forschung und Lehre, und sie haben meist keine Zeit, die Feinheiten der verschiedenen Lizenzen zu studieren, oder herausfinden, für welche Zeitschrift ein Vorabdruck auf ihrer Website veröffentlicht werden kann, oder für welche erst ein Nachdruck nach einer bestimmten Sperrfrist. Zudem leben die Forscher in ihren wissenschaftlichen Gemeinschaften und möchten ihre gängigen Publikationskanäle, die in der Vergangenheit verwendet worden sind, mehr oder weniger behalten.

Innerhalb meiner Forschungsgemeinschaft, kommt der "grüne Weg" nicht in Frage, da die Artikel nicht begutachtet werden. Meine Forschungsgruppe experimentiert momentan mit "grünen" öffentlich zugänglichen "Essays", die eigentlich recht häufig heruntergeladen werden, aber ich würde es nicht mal wagen, diese in meine Publikationsliste aufzunehmen. Ich kenne in unserer Branche keine "platine" Zeitschrift. All das bedeutet, dass wir entweder in den traditionellen Zeitschriften weiter publizieren, oder bezahlen müssen, um den offenen Zugang gewährleisten zu können. Ich vermute, dass unser Labor künftig etwa €5000 pro Jahr dafür ausgeben wird, damit einige (nicht alle) unserer Artikel offenen Zugang erhalten. Woher kommt dieses Geld? Nun, aus unserem regulären Forschungsbudget. Wir werden wahrscheinlich weniger reisen und weniger Reagenzgläser einkaufen. Wir können uns ja noch glücklich schätzen, die Wahl zu haben, unsere Mittel dafür einzusetzen. Wenn wir unsere Forschungsarbeiten dadurch offen zugänglich machen, ist das sicherlich das Geld wert.

Was tun Sie aber, wenn Sie sich diesen Luxus nicht leisten können? Nun ja, Sie bleiben bei den traditionellen Verlagen. Aber in der aktuellen Situation, werden die reicheren Institute zunehmend offenen Zugang wählen, in der Hoffnung, eine bessere Sichtbarkeit und schließlich mehr Zitate zu erlangen. Mehr Sichtbarkeit bedeutet schließlich mehr Forschungsgelder und die Möglichkeit, bessere Mitarbeiter zu rekrutieren. Schließlich werden die Reichen reicher, und die Armen ärmer. Unser wissenschaftliches System belohnt bereits jetzt eher die größeren und reicheren Institutionen, eventuell zu Unrecht, und diese wachsen auf Kosten der kleineren. Der offene Zugang zur Literatur wird diesen Prozess weiter beschleunigen.

Was passiert aber mit all den Artikeln, die nicht offen zugänglich sind, oder diejenigen, die früher veröffentlicht wurden? Um an diese zu gelangen, werden die Abonnemente weiter benötigt, und in der Regel verlangen die Verlage weitere Zahlungen, um den Zugang zu älteren Dateien zu gewähren. Man könnte auch argumentieren, dass dies nur eine vorübergehende Situation ist, bis das Urheberrecht abgelaufen ist. Da müssen Sie aber lange warten, momentan fast ein Jahrhundert. Zudem arbeiten gewisse Leute hart daran, um Ihre Wartezeit noch weiter zu verlängern. Doch selbst wenn das Urheberrecht abgelaufen ist, mag der offene Zugang nicht gewährleistet sein. Versuchen Sie nur auf wissenschaftliche Publikationen, die im letzten Jahrhundert veröffentlicht wurden, zuzugreifen. Die meisten Verleger gewähren den Zugang nicht. Ein Teil dieser Arbeiten werden durch gewisse Organisationen offengelegt (beispielsweise Internet Archive, Gutenberg, Royal Society), aber all dies scheint kein triviales Unterfangen zu sein, und wahrscheinlich ist dies der Vorgeschmack, wie schwierig die Situation auch in der Zukunft bleiben wird. Hier wären Hochschulen oder Förderorganisationen gefordert, weil diese in einer guten Position sind, um die notwendigen Web-Server bei minimalen Kosten über lange Zeiten zu unterhalten. In jedem Fall wird der Übergang zur offenen Literatur ein teurer und langwieriger Prozess.

Die wissenschaftliche Literatur offen verfügbar zu haben wäre fantastisch. Wir sollten versuchen dies zu erreichen, auch mit all den anstehenden Schwierigkeiten. Das aktuelle System sollte nicht aufrechterhalten werden. Wenn wir uns bemühen, könnte der offene Zugang vielleicht für die nächste Generation von Wissenschaftlern zu einer Realität werden.

Michal Borkovec, 23. Februar, 2015

References

[1] Martin Fenner, Why there is no iTunes for science papers, 2015, Link

[2] Hvistendahl M., Science, 342, 1035-1039, 2013, 10.1126/science.342.6162.1035

[3] Weller M., The Battle for Open, Ubiquity Press, 2014, 10.5334/bam (open access).


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February, 5, 2018, 13:20. The gold-for-gold program has been discontinued.