Gute Nachrichten für die Schweizer Kolloidik

Viele Forscher in der Kolloidwissenschaft würden sofort zustimmen, dass dies eines der faszinierendsten und wichtigsten Forschungsthemen ist. Leider ist diese Ansicht nicht weit verbreitet. Vor allem in der Schweiz war die Situation der Kolloidwissenschaft speziell, und dies ist hier das Thema.

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts veröffentlichte Albert Einstein seine wegweisende Arbeit über die thermische Bewegung von kolloidalen Partikeln, während er im Berner Patentamt in der Schweiz gearbeitet hatte [1]. Trotz dieser Tatsache, gab es in der Schweiz im letzten Jahrhundert nur wenige Forschungsgruppen, die sich mit Kolloiden beschäftigt haben. Obwohl dieses Thema in industriellen Formulierung-Labors aktiv verfolgt wurde, war es in der Akademie praktisch inexistent — altmodisch, schmuddelig, und bei weitem nicht so raffiniert wie die Laserspektroskopie und Quantenmechanik.

Die gute Nachricht für die Kolloidforschung ist, dass sich diese Situation in der Schweiz radikal geändert hat. Dieses Gebiet wird aktiv an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen verfolgt, vor allem in der chemischen Verfahrenstechnik, und den Material- , Lebensmittel- und Umweltwissenschaften. Einige der letzten Berufungen an der ETHZ liegen ganz im Kolloidbereich, insbesondere Hans Herrmann, Lucio Isa, David Norris, und Jan Vermant. Auch das Chemie-Departement kann der Kolloidik nicht widerstehen — man sehe sich nur die Aktivitäten der Gruppen von Massimo Morbidelli oder Wendelin Stark an. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Es ist ja super, dass diese Institutionen begriffen haben, dass Kolloidik eine respektable Wissenschaft ist.

Zu dieser Dynamik tragen die eidgenössischen Forschungsinstitute zusätzlich bei. Das PSI gab in den neunziger Jahren das Schlüssel-Signal mit der Gründung der Neutronenspallationsquelle und zwei Kleinwinkel-Strahllinien SANS-I und SANS-II (oder SANSLI in der deutsch-schweizerischen Verkleinerungsform). Die Wissenschaftler, welche die Strahllinien betreuen, forschen natürlich auf Kolloiden. Der nächste Schub kam mit dem Bau des Synchrotrons und der Ernennung des Direktors Friso van der Veen — der auch ein Kolloidiker ist. An der EAWAG waren kolloidale Teilchen schon immer im Fokus, während EMPA erst kürzlich dieses Thema aufgegriffen hat. Angesichts der starken Anwendungsorientierung der Forschung an diesem Institut man fragt sich nur, warum so spät?

Dieses Gebiet ist immer noch schlecht an den Physik- und Chemie-Abteilungen der schweizerischen kantonalen Universitäten vertreten, aber glücklicherweise ist die Universität Freiburg die Ausnahme der Regel. Die Kolloid-Aktivitäten wurden dort von Peter Schurtenberger (er ist in der Zwischenzeit umgezogen) und mit der Gründung des Adolphe Merkle Institut initiiert (AMI). Zur Zeit sind an dieser Universität und am AMI zahlreiche Kolloid-Gruppen angesiedelt, insbesondere diejenigen von Joe Brader, Alke Fink, Marco Lattuada, Barbara Rothen, Frank Scheffold und Ullrich Steiner. Nun haben wir auch noch ein wahres Schweizer-Mini-Kolloid-Zentrum, was fantastisch ist.

Ein weiteres positives Signal ist die Organisation von regelmäßigen wissenschaftlichen Tagungen zu diesem Thema. Eher physikalisch orientiert sind die Swiss Soft Days, die alle 3 Monate stattfinden. Die Aktivitäten der neu gegründeten Abteilung für Polymere, Kolloide und Grenzflächen der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft konzentrieren sich mehr auf Chemie und Materialien. Diese Treffen spiegeln eine enge Verbindung der Kolloid- und Polymer-Wissenschaften in der Schweiz wider, und in der Tat, war die Entwicklung der beiden Gebiete ähnlich [2]. Es hat immer viele Teilnehmer an diesen Veranstaltungen und dies ist toll.

Warum dieser plötzliche Wandel? Einige mögliche Faktoren sind: Die amerikanische Nanotechnologie-Initiative, welche von der Clinton-Regierung im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurde, hatte viele Anhänger weltweit, und dies ist sicherlich ein Schlüsselelement. Ich ertappe mich, Nanopartikel anstelle von Kolloiden zu benützen, und heutzutage bevorzugen viele Leute diesen Begriff. Die Krise im Industrie-Arbeitsmarkt, die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs in den neunziger Jahren begonnen hat, und von einem Rückgang der Studentenzahlen in der Physik und Chemie gefolgt wurde, hat sicher auch dazu beigetragen. Diese Entwicklung setzte einen erheblichen Druck auf die traditionellen Lehrpläne der Hochschulen, vor allem in den kleineren Disziplinen. Man sah sich gezwungen, sich neu zu orientieren, um Studenten anzuwerben. Da sind ja Kolloide, entschuldigen Sie, Nanopartikel, ganz praktisch. Vielleicht haben auch Leute angefangen zu realisieren, dass Kolloidik einfach auch Spass macht?

Michal Borkovec, 21. Juni 2014

Referenzen

[1] A. Einstein (1905) Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen, Ann. Physik, 17, 549-560.

[2] C. Quellet (2008) Polymer and colloid chemistry in Switzerland, Chimia 62, 773-775.


Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Sie können einen solchen eingeben mit dem Knopf unten.